Werte statt Wachstum

Viel Kapital und eine unternehmerische Vision – in der Förderung von Innovation könnten reiche Unternehmerfamilien eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Illustration: Jasmin Mietaschk
Illustration: Jasmin Mietaschk
Klaus Lüber Redaktion

Als Benedict Rodenstock, fünfte Generation des Brillenherstellers Rodenstock, sich 2006 entschied, Vermögensanteile des Familienunternehmens in Start-ups zu investieren, wurde er zunächst belächelt. Doch Rodenstock vertraute auf seinen unternehmerischen Instinkt, ging ins Risiko – und hatte Erfolg. In mehr als 30 Start­-ups hat seine Beteiligungsgesellschaft Astutia Ventures inzwischen investiert und dabei geholfen, bekannte E­-Commerce­-Plattformen wie Amorelie oder Mister Spex aufzubauen.


Family Offices, ausgestattet mit priva­tem Vermögen und risikobereitem Unternehmergeist, spielen eine zunehmend interessante Rolle in der deutschen Innovationsförderung. Die Hexal-Gründer Andreas und Thomas Strüngmann unterstützen das Start­-up Biontech mit hohen Beträgen, SAP­-Gründer und Multimilliardär Diet­mar Hopp investiert große Summen in das Unternehmen Curevac, und die Münchner Beteiligungsgesellschaft Skion der BMW-Erbin Susanne Klatten engagiert sich dafür, als Innovationstreiber deutsche Unternehmen zu stärken und so zum gesellschaftlichen Fortschritt beizutragen.


Bemerkenswert daran ist die volkswirtschaftliche Perspek­tive, das Bemühen um werteorientierte Innovationen am Standort Deutschland. „Viele Family Offices, vor allem die Single Fami­ly Offices, die noch mit einem aktiven Familienunternehmen verbun­den sind oder das Vermögen nach einem Verkauf verwalten, unter­scheiden sich deutlich von klassischen Finanzinvestoren. Sie denken strategisch und langfristig. Man ist zwar renditeorientiert, aber hat auch ein echtes Interesse an den Unternehmen, in die man investiert“, so Maximilian Werkmüller, Professor für Finance und Family Office Management an der Allensbach ­Hochschule in Konstanz. Das Ziel sei kein möglichst schneller Exit, sondern man wolle ein Partner der geförderten Unternehmen sein. „Und das kann für junge Gründer natürlich ein enormer Pluspunkt sein.“


Diese partnerschaftliche Beziehung zu den Gründern ist auch für Ulrich Bergmoser, Managing Director der Unternehmensgruppe Reimann Investors, ein ganz entscheidender Zugang für viele Family Of­fices, sich in der Assetklasse Venturecapital zu engagieren. Ende der 1990er-Jahre trennten sich Mitglieder der Unternehmerfamilie von ihren Beteiligungen und gründeten das Family Office Reimann Investors. Als eines der größeren Single Family Offices verfügt Reimann über ein professionelles Team, das sich auf Beteiligungsinvestments in junge und stark wachsende Unternehmen konzentriert – vor allem im Bereich di­gitale Dienstleistungen wie Premium­-E-­Commerce und Fintech.


Die Erwartung, Family Offices könnten, mit Blick auf die Engagements von Unternehmerpersönlichkeiten wie Strüngmann, Hopp oder Klat­ten, tatsächlich zum Gamechanger in der Innovationsförderung avan­cieren, möchte Bergmoser allerdings dämpfen. „Es ist richtig, dass wir in Deutschland und Europa bisweilen Schwierigkeit haben, ganz große Finanzierungsrunden zu stemmen, die Start­-ups in ihrer späteren Wachstumsphase überhaupt erst ausreifen lassen. Hier machen oft kapitalstarke US-amerikanische und asiatische Fonds das Rennen. Es dürfte ein Missverständnis sein anzunehmen, dass das private Kapital von Family Offices diese Lücke substanziell schließen könnte.“


Eine Ursache ist das Fehlen von institutionellem Ka­pital, also hauptsächlich Pensionskassen, die etwa im US-­Markt eine signifikant größere Rolle spielen und die großen Volumen der dortigen VC­-Fonds über­haupt erst möglich machen. Aber warum verzichtet Europa dann auf diesen Kapitalfluss? „So sind nun mal die regulatorischen Rahmen­bedingungen“, erklärt Jake Benford, Bertelsmann-­Experte und Autor eines Papers zur Start-up-Förderung in Europa. „Pensionskassen und Versicherungen, die beiden großen Player im Feld der institutionellen Kapitalgeber, sind hier in Europa ganz anders reguliert. Es hat also tief sitzende strukturelle Gründe, warum dieses Geld nicht fließen kann.“


Interessant ist die Schlussfolgerung der Bertelsmann­-Analyse. Da wir mittelfristig wohl nur wenig am „later­stage gap“, also an der europäi­schen Finanzierungslücke bei mittleren und späten Finanzie-rungsrun­den, ändern können, sei es vielleicht Zeit für einen Perspektivwechsel: weg von der Wachstumsfixierung des angelsächsischen VC-­Modells, hin zu einer Fokussierung auf zweck­- und wertegebundene Investitio­nen, wie sie unter dem Begriff „Impact Investing“ schon diskutiert wer­den. Und hierbei könnten, so Benfords Einschätzung, tatsächlich die Stärken von Family Offices zum Tragen kommen: Werteorientierung statt Gewinnorientierung, langer Atem statt schneller Exit.


Auch Nadine Kammerlander, Professorin für Familienunternehmen an der WHU – Otto Beisheim School of Management, bestätigt: Als Start-­up­-Investor unter­scheiden sich Family Offices deutlich von „klassischen“ Venture­-Capital­ oder Private­-Equity­-Fonds. „Die Denkweisen, besonders was die Return­-Zeiten angeht, sind ganz andere. Während Fonds aus regulatorischen Gründen mit Investmentzeiten von vier bis sieben Jah­ren kalkulieren, streben die befragten Family Offices eine durchschnittliche Haltedauer von 30 Jahren an.“


Dies alles passe, so Ulrich Bergmoser von Reimann Investors, sehr gut zu einer eher ganzheitlichen, nicht rein profitorientierten Investment-Mentalität, die gerade im Tech-Umfeld zu beobachten sei: „Besonders bei innovationsstarken Geschäftsmodellen werden Investoren mit einem ganzheitlichen unternehmerischen An­satz und einer über reine Performancekriterien hinausgehenden, auch ethische Werte beachtenden Sicht auf Investments immer wich­tiger. Und hierzu, glaube ich, können Family Offices in Zukunft einen großen Beitrag leisten.“ 

Nächster Artikel